In loser Reihenfolge stellen wir immer wieder Betroffene vor, die uns ihren ganz eigenen Weg mit der Erkrankung schildern und zeigen, wie sie ihr Leben mit Epilepsie bewältigen.
Hier die Geschichte von Alexander Walter, 40 Jahre alt, beruflich tätig als Kaufmann in der Firma seiner Eltern, außerdem stark engagiert in der Selbsthilfearbeit – u. a. als Vorsitzender des DE Landesverbandes Epilepsie Hessen e. V.
Im Alter von zwei Jahren erkrankte er an Leukämie. Es folgten Chemotherapie und Schädelbestrahlung. Aber er schaffte es und durfte weiterleben. Allerdings sollte dies nicht sein letzter Kampf werden …
Diagnose
Meinen ersten Anfall hatte ich im Alter von 23 Jahren. Die Suche nach der richtigen Medikation/ Behandlung dauerte rund 13 Jahre. Seit Ende August 2017 bin ich anfallsfrei!
Ein Querschnitt:
Folgen:
Behandlung
Im Jahr 2004 ging es definitiv mit meiner Epilepsie los. Wir haben viele Ärzte aufgesucht – von Vitamin B-Mangel bis zu Migräne, die Diagnosen waren vielfältig. Die Häufigkeit und Intensität der Anfälle steigerten sich zusehends auf bis zu 20-30 Anfälle pro Woche in den schlimmsten Zeiten.
2010 hatte ich schließlich meinen ersten Termin im Epilepsiezentrum Bethel und bekam die gesicherte Diagnose Epilepsie. Ich erhielt ein passendes Medikament und umgehend sank die Anzahl auf nur noch ca. 10-15 Anfälle im Monat. Nach einem weiteren stationären Aufenthalt dort mit noch detaillierterer Diagnostik wurde meine Medikamentendosis angepasst, so dass die Anzahl auf ca. 5-6 pro Monat sank.
Danach wechselte ich zur Behandlung nach Hessen ans UKGM (Universitätsklinikum Gießen und Marburg) in Marburg. Hier passte man den Spiegel meines Medikamentes mit der Zeit besser an, zudem wurden ergänzende Wirkstoffe ausprobiert. In den nächsten Jahren ging es auf und ab, die meisten der zusätzlich ausprobierten sechs Antiepileptika machten es schlechter als zuvor, teils deutlich. Ab 2015 verlegte mein behandelnder Arzt seine Arbeitsstelle nach Frankfurt. Seitdem bin ich bei ihm am Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main.
Zwei Jahre später starteten wir einen weiteren Versuch mit einem „modernen“ Medikament. Nach einigen Dosiserhöhungen und anfänglich extremer Müdigkeit bzw. Abgeschlagenheit geschah dann „das Wunder von Hessen“. Seitdem hat sich der „Vorhang nie wieder geschlossen“, es gab nie wieder einen Anfall. Mit Sicherheit hatte ich – wie schon häufiger – viel oder gar sehr viel Glück. Aber aufgeben war und ist für mich nie eine Option gewesen.
Vor einigen Jahren hieß es, eine erfolgreiche OP sei nicht möglich, da ich gleich mehrere Anfallsherde hätte. In naher Zukunft werde ich die Möglichkeiten für meinen Fall zumindest prüfen, zumal die Operationsmethoden stetig besser werden. Mal sehen, was mit den modernen Verfahren wie der Laserthermoablationstechnologie (minimal-invasive Lasertechnologie) nun möglich ist, diese wird langsam, aber sicher bei uns in Hessen etabliert. Es gibt damit nicht von der Hand zu weisende Vorteile für die Patienten – diese OP-Methode sollte von jeder Krankenkasse bezahlt werden müssen!
Als ich noch Anfälle hatte, eignete ich mir zudem die für mich passende Anfallsselbstkontrolle an und lernte auch, wie ich mich nach einem Anfall wieder gut erholen kann. Das hat mir eindeutig einen Vorteil eingebracht, auch wenn es nicht immer so lief wie gewünscht. Aber besser als nichts! Man muss manchmal lernen, genügsam zu sein.
Wie wirkten sich die Anfälle auf Ihr Leben aus?
In der Schulzeit hatte ich noch keine Epilepsie, allerdings hatte ich das Problem, dass meine Merkfähigkeit in der Regel und über einen längeren Zeitraum nicht allzu gut war. Irgendwann ab Gymnasium ging ich dann zur Nachhilfe, um meine vermeintlichen Defizite zu kompensieren. Mit zunehmendem Alter wurde es immer schlechter mit meinem Gedächtnis.
Im Alter von etwa 23 Jahren mit Beginn meiner Anfälle fing ich zusehends mehr an, meine Vergangenheit zu vergessen. In den kommenden Jahren begann ich einzunässen, war oft völlig abwesend, musste immer häufiger sehr lange schlafen – und verlor durch die Einschränkungen viele meiner Freunde und vieles Liebgewonnene aus der Vergangenheit.
Als ich dann endlich „meine“ Diagnose erhalten hatte, bin ich immer, so weit möglich oder manchmal auch notwendig, mit meiner Erkrankung offen umgegangen. Nun, da ich wusste, was ich hatte, stellte ich mich mehr und mehr darauf ein und lernte, damit zu leben.
Haben Sie schon vor Ihrer Erkrankung von Epilepsie gehört?
Bis zu meiner eigenen Erkrankung hatte ich, wenn überhaupt, von dem Thema Epilepsie nur wenig und am Rande gehört. Auf der Suche nach der richtigen Therapie kamen meinen Eltern und mir immer mehr Zweifel an der ursprünglich durch die Migräne-Klinik gemachte Migräne-Diagnose. Wir fanden immer mehr Anzeichen, dass ich Epilepsie haben könnte, bis diese dann endlich auch mit der richtigen Form festgestellt wurde.
Hatte die Epilepsie Auswirkungen auf Ihr Berufsleben? Mussten Sie sich neu orientieren?
Ich wollte mich sowieso selbstständig machen und in der Firma meiner Eltern arbeiten, deshalb gab es hier keine Probleme. Allerdings hatte die Epilepsie dahingehend Auswirkungen auf mein Berufsleben, da mit der Zeit die Anfälle stärker wurden und zumindest die ersten Jahre die Anfallshäufi gkeit mit 20-30 Anfällen pro Woche extrem hoch lag.
Nach einem leichten Anfall musste ich ca. 2-3 Stunden und bei starken Anfällen bis zu ca. 12-14 Stunden schlafen. So war weder an arbeiten noch an sonst etwas überhaupt zu denken. Ich verlor mehr und mehr Freunde, lernte aber schnell, damit umzugehen und machte das Beste daraus.
Was waren Ihre ersten Berührungspunkte mit der Selbsthilfe? Wie kam es dazu, dass Sie sich engagiert haben und jetzt auch Verantwortung im LV Hessen übernehmen?
Ende Oktober 2014 trat ich als Betroffener einer Epilepsie-Selbsthilfegruppe in Hessen bei in der Hoffnung auf Unterstützung. Ich merkte mit der Zeit, dass ich auch helfen konnte und wollte zusehends mehr mitarbeiten. Dann wurde ich 2015 in den Vorstand der Gruppe gewählt. In den kommenden Jahren engagierte ich mich je nach Gesundheitszustand, die Tendenz war ab 2017 steil aufsteigend und es kam immer mehr Arbeit dazu.
Im April 2018 wurde ich dann gefragt, ob ich mich bei der anstehenden Wahl des DE Landesverbands Hessen zum Vorsitzenden aufstellen lassen würde. Da ich Herausforderungen liebe, sagte ich ja und wurde tatsächlich gewählt.
Gerade in der Anfangszeit war es sehr anstrengend und mühselig, sich ausreichend Wissen, Kontakte und u. a. die üblichen Gepfl ogenheiten anzueignen. Nach und nach habe ich ein Kooperationsnetzwerk aufgebaut, wichtige Termine wahrgenommen und zusehends mehr Wissen aufgebaut. Im Laufe der Zeit lernte ich immer wieder neue Personen kennen wie Mitglieder, Vorstände bzw. Leiter von Vereinen, Stiftungen etc. Ich erschloss weitere Arbeitskreise und mein Tätigkeitsfeld wurde dadurch recht schnell um einige Ämter erweitert. Es ist für mich eine gewisse Leidenschaft, all diese ganze Arbeit zu machen – auch wenn ich im Schnitt täglich zehn Stunden (manchmal auch mehr) mit der ehrenamtlichen Selbsthilfearbeit verbringe. Manchmal arbeite ich auch die Nächte durch, wenn z. B. die Weihnachtspost ansteht oder Veranstaltungen wie unser Tag der Epilepsie, die Mitgliederversammlung oder Vorträge durch mich zu organisieren sind. Es gibt in der Selbsthilfearbeit so viele Möglichkeiten sich mit einzubringen, auch ohne in einem oder gar mehreren Vorständen und Vereinen zu sein, das halten viele nicht für möglich. Überall
werden Leute gesucht, die sich ehrenamtlich engagieren.
Was ist für Sie persönlich die größte Einschränkung durch Epilepsie?
Ich kann mit Sicherheit sagen, dass der Verlust an Wissen durch jeden einzelnen Anfall die mit Abstand größte Einschränkung für mich ist.
Einiges an Erinnerung bekommst du durch neues Erarbeiten wieder (wie Lesen, Film sehen, Erzählungen von Familie/Freunden etc.). Aber wie du etwas erlebt oder erlangt hast, die möglichen Gefühle dabei, das kann dir niemand wieder geben. Und das Vergessen hört bei mir nicht auf, auch wenn ich anfallsfrei bin! Mit einem Anfall verlor ich viel Wissen und Erinnerungen auf einmal. Ohne Anfall geht es langsam Stück für Stück verloren, wenn ich mir etwas nicht immer wieder in Erinnerung rufe oder es dermaßen einprägend war, dass es an mehreren Punkten in meinem Gehirn abgespeichert wurde.
Verbinden Sie mit der Erkrankung auch etwas Positives?
Ich lernte, mir meine „guten“ Freunde besser auszusuchen sowie insgesamt umsichtiger und gelassener mit vielen Dingen umzugehen. Und: Es war schön mit anzusehen, dass ich auch diesen „Kampf“ gewonnen habe.
Was war Ihr negativstes Erlebnis in Bezug auf Ihre Epilepsie?
Wie bei anderen Problemen sieht man hier, wie schnell Freunde oder Bekannte keine Zeit mehr für einen haben! Negativ finde ich auch die noch immer nicht oder teils überhaupt nicht gesicherten finanziellen Hilfen bei:
Was war Ihr positivstes Erlebnis in Bezug auf die Erkrankung?
Ich habe gemerkt, dass man die Zeit ohne Anfälle mehr genießt und man viel mehr zu schätzen lernt, wenn man mal keine hat. Auch war ich froh, dass ich sehr schnell gelernt habe, dass man bei meiner Epilepsieform besser „Schritt für Schritt“ weitergehen sollte, da es einem auf diese Weise oft besser gelingt, die Zeit der Anfälle hinter sich zu lassen.
Auf der Suche nach Ablenkung beim Beginn eines Anfalls oder danach, um wieder fit zu werden, habe ich folgende Getränke lieben gelernt: Espresso und Zitronensaft oder kalter Kaffee und Zitronensaft gemischt! Das half mir, unzählige Anfälle ganz und oft teilweise zu stoppen, aber auch mich wieder in Gang zu bringen.
Ich durfte bislang viele Epilepsie-Selbsthilfe-Organisationen, -Stiftungen, -Selbsthilfegruppen usw. kennenlernen, einige schätze ich inzwischen sehr und bin froh, dass es diese gibt. Dabei beschränke ich mich nicht nur auf Hessen, auch wenn hier natürlich mein Hauptaugenmerk liegt. Ich würde mich privat und im Namen meiner Selbsthilfeämter freuen, wenn wir in naher Zukunft mehr von allem Positiven (Selbsthilfegruppen, Selbsthilfe-Organisationen, Epilepsie-Beratungsstellen etc.) bekämen.
Alexander Walter
zusammengefasst von Doris Wittig-Moßner
Veröffentlicht am: 23. März 2022
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